Menschen mit einer überdurchschnittlichen Sensibilität (hochsensibel, hochsensitiv, hypersensitiv, übersensitiv) nehmen Sinneseindrücke verstärkt wahr. Hierbei kann sich die Überempfindlichkeit auf alle Sinneseindrücke auswirken (visuell, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch, taktil). Darüber hinaus ist meist die nicht sensorische Wahrnehmung (z.B. Empathie, Visionen, Vorahnungen) bei hochsensiblen Persönlichkeiten (HSP) sehr stark ausgeprägt. In der Literatur wird dieses Phänomen damit begründet, dass sich die Erregungs- und Hemmungsprozesse im Nervensystem von Nicht-HSP differenzieren.
Bei HSP wird das Nervensystem schneller und intensiver erregt, während die hemmenden Prozesse vermindert wirken. Demzufolge erreichen HSP viel schneller ihren subjektiv empfundenen Stresszustand, benötigen mehr Ruhe und Entspannung sowie die Einhaltung ihres Biorhythmus.
Man geht davon aus, dass etwas 15-20% aller Menschen von Hochsensibilität betroffen sind, das entspricht ca. 16 Millionen in der BRD. Sogar höhere Säugetiere weisen denselben Prozentsatz an hochsensiblen Tieren auf. Bereits im Säuglingsalter weisen 15-20% der Babys eine höhere Reizempfindlichkeit auf, welche sie durch intensives Schreien, verängstige Gesichtsausdrücke oder Fluchtreaktionen ausdrücken. Der Schutz vor einer Überstimulation, die transmarginale Hemmung, setzt bei diesen Babys ebenfalls früher ein als bei Nicht-HSP.
Wer als Erwachsener hochsensibel ist, war es auch bereits Kind, doch in den meisten Fällen wurde es (noch) nicht erkannt, weil dieses Thema erst kürzlich die Aufmerksamkeit der Wissenschaft erlangt hat. In extremeren Fällen könnte sogar fälschlicherweise eine Krankheitsdiagnose in Form von Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) ausgesprochen worden sein, da viele Persönlichkeitsausprägungen denen des anerkannten Krankheitsbildes ähneln. Fest steht jedoch, dass Hochsensibilität derzeit nicht als Krankheitsbild anerkannt und in den ICD-10-Katalog aufgenommen wurde, sondern eher als besondere Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten angesehen wird. Jedoch erachte ich es als wichtig, zu erwähnen, dass eine hohe Korrelation zwischen einer sensiblen Grundpersönlichkeit und psychischen Erkrankungen besteht, wenn die Person eine schwierige Kindheit durchlebt hat oder in armen Familienverhältnissen aufgewachsen ist. In dieser Kombination entwickeln signifikant viele HSP Depressionen und/oder (soziale) Phobien. Wie so oft gibt es auch hier vorab Anzeichen dafür, dass die Sensibilität in eine Krankheit übergehen könnte: Verminderung der Genuss-, Beziehungs- Leistungs- oder Arbeitsfähigkeit.
Die Besonderheiten
Die Herausforderungen
Da gerade hochsensitive Kinder Ihre Mitmenschen und Umwelt intensiver wahrnehmen, spüren sie auch inter- und intrapersonelle Konflikte, Probleme der Eltern, Spannungen sowie negative Erziehungsstile. Sie neigen dazu, den Eltern helfen zu wollen, erbringen dafür viele Opfer und vergessen dabei, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.
Bei langanhaltendem Stress kann bei HSP die Verarbeitung intensiver Eindrücke nicht vollständig abgeschlossen werden, der verbleibende Rest wird in dann einfach ins Unterbewusstsein transferiert. Daraus resultiert oftmals der Eindruck, etwas sei mit ihnen nicht in Ordnung; dies führt zur Schüchternheit und nicht selten zur Isolation oder Entwicklung einer negativen Emotionalität.
Da sich viele Symptome bei AD(H)S mit denen der Hochsensibilität und Hochbegabung decken, kann es leicht zur Fehldiagnose kommen. Die Unterschiede liegen in den Wahrnehmungs- und Denkstilen. Ein echter AD(H)S-Betroffener nutzt den analytischen Wahrnehmungs- und Denkstil, welcher schnell und effektiv ist. Die Reizoffenheit führt entweder zu impulsivem und hyperaktivem Verhalten (ADHS) oder zu Lethargie und Gedankenversunkenheit (ADS). Der unechte AD(H)S-Betroffener (=HSP) verfügt über holistische Wahrnehmungs- und Denkstrukturen, welche ihm schöpferisches Denken ermöglichen. Auch bei den Hochsensiblen wird zwischen einem stillen zurückhaltenden Typen und einem aktiven, stimulationssuchenden Typen unterschieden. Letzterer Typ ist damit bestrebt, ein optimales Aktivierungsniveau aufrechtzuerhalten, um Monotonie oder Langeweile zu vermeiden.
Es besteht eine sehr enge Verknüpfung zwischen Hochsensibilität und Hochbegabung und kann im Hinblick auf Diagnosen ebenfalls mit AD(H)S verwechselt werden. Auch hochbegabte Kinder werden auf intellektueller, emotionaler, sozialer und sensorische Ebene mit Reizen überflutet. Bei leichteren Aufgaben stehen sie sich öfter selbst im Weg, da sich ihnen gleichzeitig mehrere Lösungsmöglichkeiten offenbaren und sie sich mit der Entscheidung schwer tun. Normaldenkende kommen im Vergleich schneller zur Lösung - dies führt zur Frustration und zum Scheitern von leichteren Aufgaben.